Du oder Sie? – Teil 3: Arbeitsplatz ist anders!

Wir betreten jetzt einen sehr spannenden Ort, der zwar nicht privat ist, an dem ein „Sie“ aber dennoch unpassend sein kann: den Arbeitsplatz. Aus einem mittelgroßen, eigentlich ziemlich konservativem Unternehmen habe ich kürzlich folgendes gehört: Die Geschäftsleitung hatte plötzlich und unerwartet einen Frühling der Herzlichkeit ausgerufen, was bedeutete, dass alle Führungskräfte ihren Mitarbeitern das „Du“ anbieten mussten. „Also, das Angebot zum Du von meinem Chef fand ich echt gewöhnungsbedürftig, weil unser Verhältnis bisher eher distanziert war“, sagt ein Mitarbeiter. „Aber ich will meinen Chef nicht vor den Kopf stoßen, deshalb mache ich eben einfach mit.“

Diese kleine Geschichte offenbart das ganze Dilemma der neuen Lässigkeit am Arbeitsplatz. Das Dilemma hat drei Facetten:

1. Ablehnen ist schwierig 

Wenn sich alle Kollegen untereinander duzen und eine Person das ablehnt, ist diese Kollegin/dieser Kollege draußen, hat sich quasi selber aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Das ist im besten Fall einsam und langweilig, im schlimmsten Fall der Beginn eines Mobbings. Davon ist also dringend abzuraten! Da suchen Sie sich besser gleich einen anderes, kühleres Arbeitsplätzchen. Soweit zu Kollegen auf der gleichen Ranghöhe, aber was ist mit Chef oder Chefin, die Ihnen das „Du“ anbieten? Hier kommt ein Hierarchiegefälle ins Spiel. Laut „Knigge“ darf man das „Du“ auch da höflich ablehnen. Die Zurückweisung kann der „Du“-Anbieter jedoch als Demütigung empfinden. Und wer will dafür schon Punktabzug beim Chef riskieren? Tipp für Chefs und Chefinnen: Bevor Sie das allgemeine „Du“ verordnen, sollten Sie sich fragen, ob es auch wirklich zu Ihrem Führungsstil passt. Am besten tragen Sie ein „Du“ zu demokratischer oder agiler Führung. Tipp für Mitarbeiter, die sich auf das „Du“ gern eingelassen haben: Lesen Sie Abschnitt 3. Tipp für Mitarbeiter, die mehr Distanz möchten: Lesen Sie Abschnitt 2.

2. Individuelle Grenzen respektieren

Du_SchutzraumJeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin hat andere Bedürfnisse. Manche Menschen brauchen ein „Du“ um sich wohlzufühlen. Darauf einzugehen kann wundervolle Erlebnisse der Kategorie „Da geht ja doch noch was!“ bescheren. Andere Mitarbeiter brauchen mehr Distanz. Seien Sie im direkten Kontakt vorsichtig und aufmerksam. Beobachten Sie doch mal, was andere Menschen tun, wenn Sie in Ihre Nähe kommen. Sehen Sie da ein Augenlid zucken? Oder macht jemand gar einen Schritt rückwärts, wenn Sie auf den Plan treten? Was das bedeutet? Das sind ernste Zeichen dafür, dass eine Grenze verletzt wurde.

Und wenn Ihnen umgekehrt jemand zu nahe kommt, dann hoffen Sie lieber nicht darauf, dass derjenige das von alleine merkt. Sondern trauen Sie sich doch mal was! Sagen Sie freundlich: „Das passt für mich einfach nicht.“ Vielleicht wären die Führungskräfte im eingangs erwähnten Unternehmen sogar froh, wenn sie mal wieder jemanden siezen dürften. In diesen lässigen Zeiten müssen Grenzen immer wieder neu ausgehandelt werden. Beides – das „Lesen“ von Zeichen sowie eine beziehungswahrende Formulierung von Ablehnung lässt sich in Trainings lernen und üben. Ich nenne das „Knigge agil“.

3. Hierarchie und Rolle

Hierarchien in deutschen Unternehmen werden flacher. Dabei ist das allgemeine „Du“ quasi das Ostfriesland in der betrieblichen Beziehungskultur. Kann man auf jeden Fall machen! Jedenfalls wenn man sich vorher vergewissert hat, dass zumindest die Mehrheit der Mitarbeiter das begrüßt (siehe oben). Im Englischsprachigen Raum – wo es gar kein Sie gibt –  klappt’s ja schließlich auch! Wichtig ist nur eins: Den Mitarbeitern muss klar sein, dass der Chef trotzdem kein Kumpel bzw. die Chefin keine BFF (Best Friend Forever) ist, sondern nach wie vor Chef oder Chefin. Auch Chefin und Chef müssen sich darum kümmern, dass das klar ist. Dann wird es funktionieren. Und auch in deutschen Unternehmen habe ich schon einige (junge) Mitarbeiter kennengelernt, die trotz 360_Grad-Du ein glasklares Rollenbewusstsein haben. Hut ab! Und Willkommen in Ostfriesland!

Du_Ostfriesland_flach

Du oder Sie? – Teil 1: Neulich im Hotel

Du oder Sie? – Teil 2: Eine Image-Frage


Du oder Sie? – Teil 2: Eine Image-Frage

Ich duze mich ja auch viel und gerne. Doch, wirklich! Da, wo ich es passend finde. Zum Beispiel bei Parties im Freundeskreis, in meinem Frauen-Netzwerk, im Fitness-Studio, im Karneval und vor dem Kneipentresen sind in meinen Augen auch alle gleich. Kurz: Überall da, wo man gemeinsame Interessen hat, sich auf Augenhöhe begegnet und wo niemand (viel) an mir verdient. Was für mich gar nicht geht, ist die Kombi Duzen und Teures. Vielleicht liegt das an Ikea. Da habe ich schon in meiner Kindheit gelernt, dass „Du“, „Billy“ und die kleinen Preise zusammengehören.

Natürlich duze ich mich auch im beruflichen Umfeld mit einer ganzen Reihe von Menschen. Wichtigste Voraussetzung ist dabei für mich, dass ich die Person tatsächlich kenne. Das geht aber offenbar nicht allen so. „Hallo Ihr Lieben“ – mit diesen Worten begann eine Einladung zu einem Info-Abend für eine Coaching-Ausbildung, die mir kürzlich ins Postfach flatterte. Mal abgesehen davon, dass ich schon eine Coaching-Ausbildung absolviert habe und bereits als Coach tätig bin – habe ich bei diesem Angebot eher an Bauchtanz oder an Wünschelruten-Training gedacht. Coaching ist ein ernsthaftes Business, bei dem es gerade auch um einen sensiblen Umgang mit Nähe und Distanz geht. Dazu sollte auch die Ausschreibung stimmig sein, dann wirkt sie professionell. 

Ebenfalls mit „liebe Astrid“ war die Anfrage einer renommierten PR-Agentur überschrieben, die mich als Stilberaterin für eine Veranstaltung buchen wollte. Unterschrieben war die Mail mit einem Kosenamen. Wer macht Geschäfte mit „Mausi“? Ich nicht! Dafür habe ich nicht meine Konzepte entwickelt, wie Frauen im Beruf ernstgenommen werden.

Gefragt sind Empathie und Fingerspitzengefühl

Fazit: Auch wenn duzen jetzt total „hip“ ist und sich Normen tatsächlich verschieben, gibt es ein paar NoGos. Wildfremde Menschen im Geschäftsleben zu duzen ist ein Schuss, der leicht nach hinten losgehen kann, denn Sie wissen noch nicht, mit wem Sie es zu tun haben – und was diese Person mit Ihrem freundlich gemeinten „Du“ so alles assoziiert. Sobald Sie jemandem gegenüberstehen und in direktem Kontakt sind, können Sie hier viel besser einschätzen, welche Ansprache passt und welche nicht. Vorsicht und Einfühlungsvermögen sind hier angesagt. Die sehr junge Aushilfe in meinem Lieblings-Weinhandel hat kürzlich gezeigt, wie das (fast) gelingen kann: Zuerst hat Sie mich munter geduzt, dann – während ihre Worte immer leiser wurden – nachdenklich mein Gesicht studiert. Daraufhin hat sie tief Luft geholt und den in der zweiten Person Singular begonnenen Satz nochmal ganz neu angesetzt, jetzt mit „Sie“. Ich nehme an, sie hat in der Zwischenzeit meine Falten gezählt …

Chance für einen eigenen Stil

Du_SelbstbildDie neue Regellosigkeit ist also gar nicht „easy“, sondern sogar anstrengender als die klaren Normen der Vergangenheit. Sie fordert uns viel ab an Achtsamkeit, Empathie und Fingerspitzengefühl. Andererseits bietet sie jedem einzelnen jedoch einen großartigen Freiraum, sich zu positionieren und einen persönlichen Stil, eine Art individuelle Corporate Identity zu entwickeln. Fragen Sie sich: Wer bin ich? Wie will ich wirken? Bei wem möchte ich einen positiven Eindruck machen? Und was will ich in einer bestimmten Situation erreichen? Daraus ergibt sich der Umgang mit Du oder Sie. Ein Coaching kann helfen, hier eine stimmige eigene Position zu finden. Wichtig: Tue es nicht aus Versehen oder weil es alle machen, sondern tun Sie es bewusst!

Du oder Sie? – Teil 1: Neulich im Hotel

Du oder Sie? – Teil 3: Arbeitsplatz ist anders!


Du oder Sie? – Teil 1: Neulich im Hotel

Du_Rezeption_flachKürzlich betrat ich das Foyer eines neuen schicken Hotels in der Kölner Innenstadt. Im obersten Stockwerk des Hotels befindet sich ein ebenfalls neues, trendiges Restaurant, wo ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen war. Da ich nicht wusste, wo es langging, schritt ich hoffnungsvoll auf die Rezeption zu, von wo aus mich eine junge Frau einladend anlächelte. „Du nimmst den Fahrstuhl da drüben und deinen Mantel kannst du gleich hier an der Garderobe abgeben“, erklärte sie mir. Da musste ich erstmal schlucken. Nicht weil ich eine Fahrstuhl-Phobie hätte, sondern wegen der Anrede. „Du“ an der Hotelrezeption? Leicht irritiert erreichte ich die Garderobe, an der ich dann von einem freundlichen jungen Mann ebenfalls geduzt wurde. Diesmal schaltete ich schneller. „Duzen Sie denn jeden, der hier reinkommt?“, fragte ich ihn. „Ja“, erklärte er mit gleichbleibender souveräner Freundlichkeit, „Es gehört zu unserer Unternehmensphilosophie, die Gäste persönlich anzusprechen, sie sollen sich bei uns wie zu Hause fühlen.“

Du_Socken_kleinAlso, wenn ich persönlich mich wie Zu Hause fühlen will, dann bleibe ich zu Hause, ziehe meine ollen Socken an und lege mich aufs Sofa! Heute aber will ich einen schicken Abend im öffentlichen Raum verbringen. Und dazu gehört für mich auch eine Prise erfrischende Distanz mit einem smarten „Sie“. Im Dachrestaurant angekommen, hatte ich einen wunderbaren Abend. Das Gemisch aus Staunen und Ärger über das „Du“ in der Hotel-Lobby war schnell vergessen. Aber das Thema hat mich seitdem in immer kleineren Schritten wieder eingeholt …

Entscheidung über Nähe und Distanz

Als nächstes fiel mir auf, dass mich die Website vom Hermes-Versand duzt. Dann die Verpackung einer veganen Suppe, die ich wegen hoher Qualität und niedriger Kalorienzahl schätze: „Deine Gelbe Linsensuppe lässt sich in nur wenigen Schritten in ein super leckeres Curry verwandeln.“ Und nach einem Update des Betriebssystems tut es auch mein eigener Laptop – Er duzt mich, wenn ich ihn ausschalten will. (Ebenso diese Website, wenn Sie einen Kommentar abgeben wollen, das kann ich nicht mal ändern.)

Ganz ehrlich: Ich finde das jetzt doch langsam ein bisschen respektlos! Beim „Sie“ oder „Du“ geht es um Distanz oder Nähe. Und ich möchte gerne selbst entscheiden, wie nah ich die Firma Apple, Hermes oder „Oma Josefine Bioprodukte“ aus Rieslingen an mich heranlassen will. Schließlich bin ich hier die Kundin! Soweit meine Einstellung. Aber wie sehen das andere? Und welche gute Absicht steckt hinter dem flächendeckenden „Du“? Vielleicht gibt es tatsächlich viele Menschen, die das „Du“ grundsätzlich angenehmer und das „Sie“ abgehoben und unpersönlich finden? Und wie gehen wir mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen um? Eines ist schon sicher: Die allgemeine Knigge-Regel, dass Fremde erstmal zu siezen sind, bis der Ranghöhere oder die Ranghöhere das Du anbietet, ist Geschichte. Inzwischen kann ein „Sie“ manchmal sogar schon falsch sein. Welche Regeln gelten aber jetzt? Woran können wir uns orientieren? Lesen Sie dazu den nächsten Blogbeitrag …

Du oder Sie? – Teil 2: Eine Image-Frage

Du oder Sie? – Teil 3: Arbeitsplatz ist anders!